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Francesco und Silvestro: Eine Freundschaft ohne Happy End

Francesco und Silvestro: Eine Freundschaft, die Kontinente überdauerte

Eine Geschichte aus den Nachkriegsjahren zwischen Montescaglioso und Deutschland

Inhaltsverzeichnis

  1. Wenn der Wein die Zunge löst
  2. Die Wurzeln einer außergewöhnlichen Freundschaft
  3. Montescaglioso in den 1940er Jahren
  4. Die Musterung in Bari - oder wie man einen Offizier wegstößt
  5. Obstdiebstahl und Loyalität
  6. Der Traum von Deutschland
  7. Karlsruhe: Das Schlaraffenland der 1960er
  8. Ein Unfall verändert alles
  9. Abschied ohne Wiedersehen

Wenn der Wein die Zunge löst {#wenn-der-wein-die-zunge-löst}

Draußen auf der Terrasse, der Grillabend neigt sich dem Ende zu. Im Hintergrund dudeln die alten Schlager aus den Sechzigern – diese Lieder haben tatsächlich etwas Schönes, wenn man sie nicht zu oft hört. Der Wein hat seine Wirkung getan, die Stimmung ist entspannt.

"Papi, erzähl uns doch mal eine deiner Geschichten", bitte ich Francesco zwischen zwei Liedern.

"Was willst du hören?", fragt er zurück, während er an seinem Glas nippt.

"Eine aus deiner Jugend. Die von Silvestro zum Beispiel – an die kann ich mich nicht mehr so gut erinnern."

Und dann beginnt er zu erzählen. Von seinem besten Freund. Vielleicht sogar dem einzigen richtigen Freund, den er je hatte.

Die Wurzeln einer außergewöhnlichen Freundschaft {#die-wurzeln-einer-außergewöhnlichen-freundschaft}

Francesco und Silvestro – geboren im Juli 1943, mitten in den Kriegswirren. Aufgewachsen in einer Zeit, die wenig Raum für Sentimentalitäten ließ. Aber zwischen den beiden entwickelte sich etwas Besonderes. Eine Symbiose, wie Francesco es nennt.

"Ein Blick, stumm, und wir wussten alles."

So beschreibt mein Vater diese seltene Art der Verbindung. Silvestro folgte ihm überall hin. Bedingungslos. Als Francesco zur Musterung nach Bari musste – natürlich kam Silvestro mit.

Montescaglioso in den 1940er Jahren {#montescaglioso-in-den-1940er-jahren}

Um diese Geschichte zu verstehen, muss man sich Montescaglioso in der Nachkriegszeit vorstellen. Eine kleine Stadt in der Basilikata, geprägt von Armut und dem Neuanfang nach dem Krieg. Die Menschen hielten zusammen, Freundschaften entstanden aus gemeinsamen Entbehrungen.

In dieser kargen Landschaft lernten Francesco und Silvestro jeden Baum, jede Pflanze im Umkreis von fünf Kilometern kennen. Sie wussten genau, wo das beste Obst wuchs – und holten sich "hin und wieder etwas, um den Magen zu sättigen".

Hunger macht erfinderisch. Und manchmal auch unvorsichtig.

Die Musterung in Bari - oder wie man einen Offizier wegstößt {#die-musterung-in-bari}

Anfang der 1960er Jahre bedeutete eine warme Mahlzeit fast so viel wie ein Sechser im Lotto. Bei der Musterung hatten die jungen Männer Anrecht auf genau das – eine warme Mahlzeit.

Francesco aß gerade, als er gestört wurde. Es kam zum Handgemenge. Der Rest ist fast wie aus einem Western: Der Offizier flog durch die Saloon-Tür aus dem Raum.

Francesco aß seelenruhig weiter.

Sekunden später: bewaffnete Verstärkung, 3-4 Tage Hausarrest in der Kaserne. Und Silvestro? Wartete auf der anderen Seite der Kaserne, pfiff immer dieselbe Melodie. Francesco pfiff zurück.

So funktionierte ihre Freundschaft. Ohne große Worte, aber mit absoluter Verlässlichkeit.

Obstdiebstahl und Loyalität {#obstdiebstahl-und-loyalität}

Bei einer ihrer "Beschaffungsaktionen" wurden sie erwischt. "Na, schmeckts?", fragte der Grundstücksbesitzer.

Sie rannten. Francesco entkam, Silvestro nicht. Er wurde angezeigt, hielt aber still. Verriet seinen Freund nicht. In den 1960er Jahren war das noch etwas wert – Loyalität bis zum bitteren Ende.

Der Traum von Deutschland {#der-traum-von-deutschland}

Italien bot wenig Perspektiven für junge Männer wie Francesco und Silvestro. Deutschland hingegen lockte mit Arbeit und besseren Löhnen. Als Francesco den Schritt wagte und nach Mailand ging, war klar: Silvestro würde folgen.

Und als es Francesco schließlich nach Karlsruhe verschlug? "Es war nur eine Frage der Zeit", erzählt Francesco mit einem Lächeln. "Tatsächlich kam auch Silvestro nach Karlsruhe."

Kann man einen größeren Beweis der Freundschaft zeigen?

Karlsruhe: Das Schlaraffenland der 1960er {#karlsruhe-das-schlaraffenland}

Die Geschichte der italienischen Gastarbeiter in Deutschland ist bekannt. Für Francesco und Silvestro wurde Karlsruhe zur neuen Heimat. Deutschland war damals ein Schlaraffenland für junge Menschen, die arbeiten wollten.

Tagsüber schufteten sie, abends gingen sie tanzen oder unterhielten sich stundenlang. "War schön", fasst Francesco diese Zeit zusammen. Manchmal reichen die einfachsten Worte.

Ein Unfall verändert alles {#ein-unfall-verändert-alles}

Dann kam der Tag, der alles veränderte. Silvestro kaufte ein Auto – ohne gültigen Führerschein. Der Unfall passierte in der Kriegsstraße, Ecke Rüppurrer Straße in Karlsruhe.

"Ich fragte ihn natürlich, warum er so blöd gewesen wäre", erinnert sich Francesco. Silvestro konterte: "Warum hackst du auf mir herum?"

Sie schauten sich an. Umarmten sich. Wahre Freundschaft eben.

Aber der Unfall hatte Konsequenzen. Silvestro musste die Zelte in Karlsruhe abbrechen und nach Frankreich fliehen. Der Abschied war schwer.

Abschied ohne Wiedersehen {#abschied-ohne-wiedersehen}

Silvestro ging nach Paris. Francesco blieb in Karlsruhe.

"Das Leben schreibt nicht immer ein Happy End", sagt mein Vater und blickt in die Ferne. Die Schlager aus den Sechzigern spielen immer noch im Hintergrund. Manche Geschichten haben kein versöhnliches Ende – sie zeigen nur, wie das Leben manchmal läuft.

Was bleibt? Die Erinnerung an eine Freundschaft, die Kontinente überdauerte. An zwei junge Männer aus Montescaglioso, die gemeinsam ihre Träume verfolgten, bis das Schicksal sie trennte.

Und die Gewissheit, dass wahre Freundschaft nicht an Orten gemessen wird, sondern an gemeinsamen Erinnerungen.


Labels: Francesco, Silvestro, Montescaglioso, Nachkriegszeit, Italien, Deutschland, Karlsruhe, Freundschaft, Gastarbeiter, 1960er Jahre, Basilikata, Bari, Musterung, Paris, Emigration, Lebensgeschichte

Meta-Beschreibung: Die bewegende Geschichte der Freundschaft zwischen Francesco und Silvestro - zwei Männer aus Montescaglioso, die in den 1960er Jahren gemeinsam nach Deutschland auswanderten, bis ein Unfall sie für immer trennte.

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