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Ristorante San Marino und die Geschichte meiner Eltern

 

Ristorante San Marino und die Geschichte meiner Eltern

Ein Teller voller Erinnerungen – Ristorante San Marino 


Schon mit 14 Jahren stand ich abends, nach der Schule, im Restaurant meiner Eltern. Das Ristorante San Marino – Erst in der Waldstadt, später in der Karlstr. mitten in Karlsruhe. Ich erinnere mich noch genau: Die Füße müde vom Schultag, die Hände rochen nach Spülmittel, mein schüchterner Kontakt mit den Gästen. Und trotzdem – ich fühlte mich nicht gezwungen. Wir waren eine Familie und der Gastraum war unser Wohnzimmer. Ich war Teil von etwas. Etwas Lebendigem.

Das San Marino war mehr als ein Ort zum Essen. Es war ein Stück Italien – gewürzt mit einem Hauch Spanien – mitten in Baden. Der Duft von frischer Pasta, die dampfende Espressomaschine, das leise Klirren der Gläser – das alles war unsere Musik. Für manche Gäste war das Lokal ein kurzer Ausflug nach Süden. Für uns war es das gelebte Ergebnis eines langen, oft steinigen Weges.

Wurzeln, die in zwei Ländern schlugen

Meine Eltern kamen in den 60er-Jahren nach Deutschland – als sogenannte Gastarbeiter. Meine Mutter, Blanca Flor, aus Kantabrien, einer wilden, grünen Region im Norden Spaniens, wo die Atlantikwellen an die Küste donnern. Mein Vater, Francesco, aus Montescaglioso, einem kleinen, trockenen Ort in Süditalien nahe Matera, wo die Sonne die Häuser in warmes Ocker taucht.

Sie kamen mit wenig – sehr wenig. Ein Koffer. Eine Adresse. Viel Hoffnung. Und wie viele andere damals waren sie fremd – und das Leben war rau. Deutschland war kalt, wortkarg, fleißig. Aber es war auch: offen, strukturiert, gerecht.

Urlaub in der Heimat

Am Anfang war jeder Urlaub in der Heimat ein emotionales Auftanken. Spanien oder Italien – das bedeutete Familie, Wärme, Vertrautes.
Ach ja: Damals gab es noch kein Ryanair. Damals nahm man sich die Strapaze von 13...14...15 Stunden Autofahrt.
Meine Schweste und ich hinten im Rücksitz: spielen, streiten, schlafen. Das waren Odysseen.
Später, als meine Eltern hier in Karlsruhe Wurzeln schlugen, wurden diese Reisen zu dem, was man heute tatsächlich Urlaub nennt. Und nie, wirklich nie, haben meine Eltern vergessen, was sie hier fanden: Gastfreundschaft, eine Chance, die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen. Dafür waren sie immer dankbar – aus tiefstem Herzen.

Von Herzblut, Hingabe und helfenden Händen

Das Ristorante San Marino war kein Zufallsprodukt. Es war das Ergebnis jahrelangen Sparens, der Verzicht auf Urlaub, neue Möbel oder „mal was Schönes“. Der Traum der Selbständigkeit. Es war auch ein Gemeinschaftswerk – Freunde halfen, liehen Geld, packten an. Ohne sie hätte es diesen Ort nie gegeben.

Und dann war es da – dieses kleine Restaurant mit seinen rosafarbenen Tischdecken, dem Fenster zur Küche, dem Charme zwischen Improvisation und liebevoller Perfektion. Die Gäste kamen – und blieben. Manche lachten, manche weinten. Viele kamen mit Hunger – und gingen mit mehr als nur einem vollen Bauch.

Viele Szenen bleibt mir bis heute im Gedächtnis

Einmal – ich war vielleicht 17 – saßen zwei Männer bei uns im Restaurant. Der eine etwa 40, der andere sicher über 70. Sie setzten sich nebeneinander, bestellten ruhig. Der Jüngere nahm ein Glas Wein, der Ältere nur ein Wasser. Gegessen haben sie beide – einfach, aber gut: Penne piccanti, wie ich glaube, aber sicher bin ich nicht.

Als sie fertig waren, baten sie meinen Vater um die Rechnung.

Der Jüngere sagte mit einem Blick zu seinem Begleiter:
„Das Wasser hier – das geht auf mich.“

Mein Vater, der an dem Abend selbst bediente, blieb einen Moment stehen, sah die beiden an. Dann fragte er:

„Ist dieser Herr hier Ihr Vater?“

„Ja, ist er“, sagte der Gast – etwas überrascht.

Mein Vater nickte, kurz und ruhig:
„Dann übernehmen Sie bitte alles.“

Ein paar Sekunden Stille. Der Gast sah ihn an. Dann lächelte er langsam und sagte leise:
„Sie haben recht. Ich zahle alles.“

Es war eine kleine Geste. Aber sie war voller Bedeutung. Für meinen Vater war das keine Belehrung – sondern eine Erinnerung: Wer uns das Leben schenkt, der verdient mehr als einen Schluck Wasser.

Ein Restaurant als Spiegel des Lebens

Solche Momente machten das San Marino zu dem, was es war. Es ging nie nur ums Essen. Es ging um Haltung. Um Respekt. Um die Geschichten, die zwischen Vorspeise und Dessert entstehen.

2006, nach vielen Jahren, schlossen meine Eltern das Lokal. Sie hatten ihr Ziel erreicht. Danach zogen sie nach Spanien – zurück zu den Wurzeln meiner Mutter. Aber Deutschland blieb ein Teil von ihnen. Genau wie dieses Restaurant ein Teil von uns bleibt. In den Erinnerungen, in alten Fotos, in Geschichten wie dieser.

Schlussgedanken

Heute, wenn ich von diesen Erinnerungen erzähle, ist es mehr als Nostalgie. Es ist ein Dank. An meine Eltern. An unsere Gäste. An ein Land, das uns Chancen gab. Und an all die leisen Momente, die man erst im Rückblick richtig versteht.

Vielleicht erinnern sich manche Karlsruher noch an das San Marino. Vielleicht war jemand von Ihnen einmal dort – zum Essen, zum Lachen, zum Nachdenken.

Und wenn nicht: Vielleicht nehmen Sie heute eine kleine Erinnerung mit nach Hause. Eine, die sagt: Wertschätzung beginnt manchmal genau da – wo jemand nicht nur für das Wasser zahlt.


Francesco Viggiani stolz vor der Kulisse der Basilikata.





Meta-Beschreibung:
Erweiterte Lesungserzählung über das Ristorante San Marino in Karlsruhe – eine bewegende und unterhaltsame Hommage an Migration, Gastronomie, Dankbarkeit und zwischenmenschliche Wärme. Ideal für Lesungen oder Veranstaltungen mit persönlichem Tiefgang.

Labels:
Lesung, Gastronomiegeschichte, Migrationserfahrungen, Ristorante San Marino, Karlsruhe, Familienunternehmen, Italien und Spanien, Dankbarkeit, Vater-Sohn-Moment, Anekdoten, Gastfreundschaft, Integration, kulturelle Identität

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