Maria und Peppino: Als es in Montescaglioso noch keine Kanalisation gab – ein Blick zurück in die Geruchsgeschichte
Als es in Montescaglioso noch keine Kanalisation gab – ein Blick zurück in die Geruchsgeschichte
Einleitung
Wir sitzen hier in Montescaglioso, bei Peppino und Maria – zwei wunderbare Menschen, die mehr Geschichten über „Monte“ kennen, als jedes Geschichtsbuch hergeben könnte. Bei einem authentischen Caffè und ein paar Gebäckstücken, die Maria aus unserer Lieblingskonditorei geholt hat, geht es heute wieder um Vergangenes, um Dinge, die man sich kaum mehr vorstellen kann.
Peppino erzählt lebhaft, Maria ergänzt mit einem Lächeln, und irgendwo dazwischen mischt sich auch mein Vater Francesco ein – mit kleinen Erinnerungsfetzen, die das Bild noch runder machen. Sergio und ich hören gebannt zu, staunen, lachen, schütteln manchmal den Kopf.
Das Thema heute: die Kanalisation – oder besser gesagt, die Zeit, als es sie noch nicht gab. Kaum zu glauben, was Peppino und Maria berichten. Und gleichzeitig spürt man, wie weit Montescaglioso gekommen ist – von damals bis heute. Eine Stadt, die sich verändert hat. Zum Glück.
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Maria und Francesco erzählen mir tolle Geschichten über frühere Zeiten in Süditalien. |
Wenn die Stadt noch anders roch
Vor gar nicht allzu langer Zeit – und das ist gar kein Spruch – gab es in Montescaglioso keine Kanalisation. Selbst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Menschen ohne moderne Abwasserrohre auskommen. Licht oder warmes Wasser? Oft purer Luxus. Heute kaum vorstellbar, aber damals war das normal.
Also stellt sich die Frage: Wohin mit all dem, was täglich anfiel – Pipi und der Rest?
Nun, die Antwort ist einfach und zugleich ziemlich faszinierend:
Die Stadtverwaltung vergab eine offizielle Lizenz, um genau dieses „Material“ einzusammeln. Und jemand musste oder wollte diesen Job machen.
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Sergio, mein treuer Begleiter. Peppino ist eine lebende Enzyklopädie. |
Der Mann mit dem Karren
Dieser jemand kam meist mit einem Karren, gezogen von einem Maulesel oder Esel. Ein Bild, das man fast schon vor sich sieht – das schmale Kopfsteinpflaster, die engen Gassen, der Geruch, der in der Luft hing.
Sein Kommen kündigte er mit einem Blasinstrument an – so eine Art akustisches Warnsignal, dass man den Krug oder das Gefäß bereithalten sollte.
Abends oder früh am Morgen stellten die Bewohner ihre Töpfe, Urnen oder Gefäße vor die Haustür. Dort wartete dann das, was der Körper so hinterließ. Keine romantische Szene, aber eben Realität.
Sergio und ich müssen grinsen. Was für ein Bild, was für Aromen.
Der Sammler – nennen wir ihn ruhig beim Namen: der „Scatòlo“, wie man in Süditalien manchmal sagte – kippte den Inhalt in ein größeres Fass auf seinem Wagen. Danach zog er weiter, Straße für Straße, Haus für Haus.
Hygiene? Ein schwieriges Kapitel
Natürlich war das alles nicht besonders hygienisch. In den Sommermonaten, wenn die Hitze in den Gassen stand, war der Geruch kaum auszuhalten. Krankheiten wie Malaria oder Typhus waren keine Seltenheit.
Man wusste zwar um die Gefahr, aber es fehlte an Alternativen – die Kanalisation kam erst Jahrzehnte später.
Was heute unvorstellbar wäre, gehörte damals einfach zum Alltag. Es war Routine. Wie der Bäcker, der früh am Morgen das Brot brachte, nur eben … anders.
Vom Ekel zum Nutzen
Und jetzt kommt der interessante Teil:
Das Gesammelte wurde nicht einfach entsorgt – nein, es wurde weiterverkauft. Bauern aus der Umgebung nutzten den menschlichen Kot als natürlichen Dünger für ihre Felder.
Ein Kreislauf, der auf seine Weise nachhaltig war. So makaber es klingen mag: Nichts wurde verschwendet.
Heute würde man vielleicht sagen: Zero Waste auf Italienisch.
Persönlicher Gedanke
Ich finde solche Geschichten wichtig. Sie zeigen, wie nah Vergangenheit und Gegenwart eigentlich sind. Maria und Peppino erzählten noch davon, wie sie als Kinder die "Trompete" des Mannes hörten und wussten: „Er kommt wieder.“
Ein bisschen Ekel, ja. Aber auch Respekt – denn irgendwer musste diesen Job machen. Und ohne ihn hätte das Leben in der Stadt schlicht nicht funktioniert.
FAQ – Häufige Fragen
Wann wurde die Kanalisation in Montescaglioso eingeführt?
Die moderne Kanalisation entstand schrittweise erst in den 1950er- bis 1960er-Jahren. Zuvor wurden Abwässer und Fäkalien manuell entsorgt.
Wie wurde die Sammlung organisiert?
Die Stadtverwaltung vergab eine offizielle Genehmigung. Der Sammler hatte bestimmte Routen und durfte nur zu festgelegten Zeiten unterwegs sein – meist früh morgens oder abends.
Wie reagierten die Bewohner auf den Geruch?
Viele waren es schlicht gewohnt. Der Geruch gehörte zum Alltag, besonders in den engen Altstadtgassen. Nur Besucher oder Kinder nahmen ihn als besonders unangenehm wahr.
Wurde die „Ware“ wirklich an Bauern verkauft?
Ja, tatsächlich. Menschlicher Kot wurde als organischer Dünger genutzt, besonders in Zeiten, in denen chemische Dünger noch teuer oder kaum verfügbar waren.
Gab es gesundheitliche Folgen?
Ja. Durch die fehlende Kanalisation und die mangelhafte Hygiene verbreiteten sich Krankheiten leichter. Vor allem Malaria, Typhus und Darmkrankheiten waren weit verbreitet.
Warum erzählt man solche Geschichten heute noch?
Weil sie zeigen, wie sich Lebensqualität verändert – und wie Menschen mit wenig Mitteln Lösungen fanden. Außerdem gehört auch das Unangenehme zur Geschichte eines Ortes.
Meta-Beschreibung:
Wie Montescaglioso einst ohne Kanalisation auskam: Der „Scatòlo“ sammelte Fäkalien per Eselkarren ein und verkaufte sie als Dünger. Ein realer Einblick in Hygiene, Alltag und Erfindungsgeist im Süditalien der Nachkriegszeit.
Labels:
Montescaglioso, Geschichte, Süditalien, Alltag früher, Hygiene, Kanalisation, Nachkriegszeit, Landwirtschaft, Tradition, Kulturgeschichte, Italien
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